Montag, 26. Oktober 2015

Der Choral rockt

Papst Gregors Gesang der Engel

Der Gregorianische Choral, der "Gesang der Engel" (Papst Gregor der Große) ist gesungene Liturgie. Die Liturgie ist aber dazu da, Gott die Ehre zu erweisen und nicht den Menschen unterhalten. Der Choral fordert, sowohl den Sänger als auch den Zuhörer. Das Proprium ist keine leichte Kost, nicht vordergründig schön, nicht leichtverständlich als Strophe-Refrain, oder als eingängiges Kirchenlied konzipiert. Der Choral hat keine so offensichtlichen, großflächigen Wiederholelemente, die dazu einladen auf auditive Bequemlichkeit umzustellen. Der Choral fordert, ist ein gesungenes Gebet, das zum Beten inspiriert. Er fordert, aber er zwingt nicht. Der Choral an seinem angestammten Platz, in einer Messe gesungen, hilft den Gläubigen bei ihrer Gottesverehrung, hilft dabei, die Seele vom oft hektischen Alltag runterzukühlen auf eine angenehme "Betriebstemperatur". Man muss sich nur darauf einlassen und das ist alles andere als einfach.
Ich nenne als Beispiel dazu den Urlaub. Wie lange freut man sich darauf und kaum ist er endlich da, braucht man mehrere Tage um tatsächlich in den Urlaubsmodus zu kommen, in dem man sich zur Erkenntnis durchringt, dass man etwas machen darf, aber nicht muss. Ob das jetzt darin besteht, den Berg zum Gipfel 6 Stunden hochzukraxeln oder sich 6 h unten auf die Wiese legt, das bleibt jedem selbst überlassen. Hauptsache, die Entscheidung enspringt nicht einer äußeren, an einen herangetragenen Erwartungshaltung, sondern einem inneren Entschluss. Es ist gar nicht so leicht, falls das konkurrierende Dinge sind, sich von der äusseren Erwartungshaltung zu lösen. Das erfordert eine innere Stärke, die aktiv erarbeitet werden will.

Participatio actuosa - Tätige Teilnahme

Auch den Choral in der Messe zu hören ist eine vordergründig leicht, aber höchst aktive und fordernde Teilnahme an der Messfeier. Es mag ganz entspannend wirken, wenn "die da oben auf der Empore" mal einen Choral singen. Ist es das auch dann noch, wenn das komplette Proprium (Introitus - Graduale/Tractus/Alleluja - Offertorium - Communio) zusammen mit der weit unterschätzten Missa de Angelis (s.o. Gesang der Engel) als Ordinarium gesungen wird? Ein einzelnes Choralstück mag als nette Abwechslung wirken, als unterhaltendes, entspannendes Element. Das komplette gregorianische Repertoire einer ganzen Messe dagegen, ist die geballte Ladung, die Vertiefung und Weiterführung der Mess- und Lesungstexte. Eine geballte Ladung, die allerdings nicht wie ein Gewitter über uns hereinbricht sondern in ruhigen Tonfolgen spartanisch einstimmiger Gesänge. Das kann den einzelnen evtl. überfordern. Stille im Allgemeinen, sowie ruhige, aber intensive modale Tonfolgen in lateinischer Sprache können befremdlich wirken verglichen mit aktuellen Hörgewohnheiten. Aber womöglich werden die Menschen auch unterschätzt und sie erleben dadurch ein intensiveres Gebet.

Wiederbelebung - ja bitte...

In gewisser Weise erlebt der Gregorianische Choral eine Wiederbelebung. Die Charterfolge, z.B. der großartigen CDs der Zisterzienser Mönche aus Heiligenkreuz sprechen hier eine deutliche Sprache. Platz 1 der Klassikcharts, Platz 9 der Pop charts!
Die katholische Bloggerin Judy Kean hat sich darüber einige Gedanken gemacht.
http://catholicexchange.com/why-gregorian-chant-rocks
Kean gibt zunächst einen kurzen historischen Überblick, mit einem schönen Schlusssatz:  It is music composed for the soul in which the words of God are lovingly sung back to him.
(Es ist Musik komponiert für die Seele, die Gottes Wort liebevoll zu Ihm zurück singt).
Sie zählt danach bestimmte, vor allem beruhigende Aspekte auf (Balsam für die Seele, etc.), sowie mögliche gesundheitliche Effekte (Linderung bei Bluthochdruck, Kopfschmerzen). Sie erwähnt auch Auszüge aus Schreiben von Em. Papst Benedikt und zitiert aus Vatikanum II den ersten Platz, den der Choral einnehmen soll in der Messe.
Sie schreibt am Ende dieses Abschnitts aber auch: "Unfortunately, finding a church where chant is still sung is a daunting task." (Unglücklicherweise ist es nahezu unmöglich (wörtlich: eine entmutigende Aufgabe) eine Kirche zu finden, in der tatsächlich noch Choral in der Messe gesungen wird.)
Sie erwähnt das, lässt es aber unkommentiert stehen und zählt anschließend auf zu welcher Gelegenheit sie gerne Choral hört: Zuhause, beim Autofahren. Das Baby ihrer Freundin schläft damit gut ein, etc..

...bitte auch in der Kirche

Das ist auch alles gut, ich bin der letzte der da irgendwas dagegen hat. Mich wundert nur, dass ihre verzweifelte und vermutlich erfolglose Suche nach einer Kirche mit Choralmessen keine weiteren Fragen bei ihr produzierte. Die offensichtlichste ist, wie es zu einer Situation kommen kann, dass einerseits die liturgische Musik der una sancta weltweit Charterfolge feiert und zu gleichen Zeit in der Liturgie weltweit von den große Kathedralen bis hinunter zur Dorfkirche nur noch ein Mauerblümchendasein führt, hier mal ein klein wenig Kyrie/Gloria, da ein Hymnus, sehr oft gar nichts so dass es eine "entmutigende Aufgabe" sein kann gesungenen Choral in einer katholischen Messe erleben zu wollen.
Die bequemen Antworten darauf sind auch ganz sicher falsch: "Das ist eben zu schwer/zu abgehoben/zu was-auch-immer und nur was für Spezialisten und Klöster."
Der gregorianische Choral ist im Grunde ganz einfach. Er erfordert wohl Übung, aber das gibt sich und viel falsch machen kann man interpretatorisch nicht. Man kann klein anfangen mit der Missa mundi oder de Angelis, mal einen Introitus einüben, und sich langsam weiterentwickeln mit Graduale und Alleluja. Musikhistorische Erkenntnisse braucht es keine. Wenn es jemanden interessiert, gut! Wenn nicht, dann auch. Hauptsache der Choral bleibt in der Praxis lebendig.

und wie bitte soll man das lernen?

Wenn mich jemand fragte, wie man den Choral üben soll, dann lautete meine sofortige Antwort: "Nicht wie, sonder wo!
Geht in die Kirche!
Ihr wollt gregorianische Gesänge proben für die hl. Messe, dann geht in die Kirche und übt sie da, wo sie auch erklingen sollen. Wenn es mal kälter sein sollte, dann zieht eben eine warme Jacke an, aber singt den Choral unbedingt da, wo er hingehört und singt ihn mit oder ohne theoretische Kenntnisse so, wie er eurer Meinung nach dort am besten klingt."
Wenn man sich dabei zuhört, dann kommt man schnell selbst darauf, dass der Choralgesang einer Schola sich umso besser anhört, je homogener die Vokalaussprache ist, um ein Beispiel zu nennen. Das zu erkennen geht am besten in den (Kirchen-)räumen in denen diese Musik auch erklingen soll. Das ist keine Quantenphysik.
Mit fortschreitender Praxis kommt zwangsläufig auch das Verlangen nach mehr theoretischem Wissen, unterschiedlichen Stilen und Schulen. Aber der Schlüssel zu allem, ist keine Angst vor der Praxis zu haben. Der einzige Fehler, den man machen kann, ist den gregorianischen Choral nicht zu singen aus Angst ihn nicht richtig singen zu können. Im Übrigen gibt es heutzutage auch google, youtube, clipfish und Konsorten. Man muss keine verstaubten Bücher in düsteren Klosterkatakomben bei Kerzenlicht wälzen, um sich zum Thema Choral weiterzubilden.

Die perfekte Musik der Una Sancta Catholica

Auch wenn Akkustiker mir zu Recht widersprechen werden - ich habe immer den Eindruck dass nichts, keine Orgel, keine Blaskapelle, etc. in der Lage ist einen Kirchenraum so komplett bis in die letzte Ritze zu erfüllen wie Papst Gregors Gesänge der Engel, der Liebesgesang der Kirche an Gott, deren Musik dem Rhythmus der lateinischen Sprache untergeordnet und angelehnt ist. Entgegen der an sich logischen Vermutung, dass der Gregorianische Choral anhand der minimal notwendigen Grundausstattung - eine Stimme - vor allem für kleine Räume geignet sei, ist meiner Ansicht nach genau das Gegenteil der Fall. Je größer die Kirche oder Kathedrale, desto besser entfalten sich die Gesänge. Schnöde Akkustik, ich weiss und doch - es ist diese Diskrepanz zwischen der Größe des Raumes und der Minimalität der eingesetzten Mittel, die fasziniert und auch erkennen lässt, dass die Gregorianische Choral für genau diese Räume, für die heiligen Messen in diesen großen Räumen komponiert wurden. Eine Diskrepanz die mir vorkommt wie eine akkustische Allegorie für die Unscheinbarkeit einer einzelnen Seele im vergleich zur Größe unsres dreifaltigen Gottes. Und wenn es statt der großen  Kathedrale nur die lokale Dorfkirche gibt, dann ist eben das die Kathedrale.

Und was ist mit Latein?

Es mag hilfreich sein, wenn man Latein kann, was bei mir nur noch wenig der Fall ist, aber wozu gibts schliesslich den Schott.
Ich empfehle übrigens als Hörer die Texte vor der Messe durchzulesen und den Geist unbelastet zu lassen, wenn der Choral erklingt. Das gilt auch für Multitaskingbefähigte. Die Texte sind das Wichtigste, sind der Schlüssel zur Liturgie und es ist wichtig sie zu kennen. Die Musik des Gregorianischen Chorals aber ist das beste Transportmittel zur Seele.

just my two cents...

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