Donnerstag, 29. März 2012

Palmsonntag - Tractus: Deus meus respice

Dominica Secunda Passionis Seu In Palmis

Palmsonntag


Tractus (Ps. 21, 2-9, 18, 19, 22, 24, 32)



Siehe auch "Downloads", bzw HIER




Vers 1:
Gott mein Gott, blicke her auf mich,
warum hast Du mich verlassen?

Eines der Jesusworte am Kreuz, das aus dem Zusammenhang gerissen so oft falsch interpretiert wird als Zweifel an Gott. Es braucht dagegen keine theologischen Kenntnisse, dieses Wort im Laufe dieses Tractus richtig einzuordnen, denn...(Fortsetzung Vers 2)


Vers 2:
Ich klage, doch Deine Hilfe ist fern.

...die Ferne, die Verlassenheit von Gott ist nur scheinbar gegeben. Gewissheit und Zuversicht sind die wirklichen Wurzeln des Gläubigen. 

Vers 3:
Mein Gott, ich rufe am Tag,
und Du hörest mich nicht;
Ich rufe in der Nacht,
doch ich rufe vergebens.

In Vers 3 und Vers 4 ist der gleiche logische Aufbau zu erkennen wie in vers 1 und 2. Wo zunächst scheinbar die Verlassenheit und Gottferne beklagt wird ...(Fortsetzung Vers 4)

Vers 4:
Und wohnest doch in dem Heiligtum,
gepriesen von Israel!

...erschließt sich der tatsächliche Sinn der Worte im abschließenden Nebensatz.

Vers 5:
Auf Dich haben unsere Väter gehofft,
sie hofften, und Du hast sie befreit.

Es erfolgt die Besinnung auf die Wurzeln des auserwählten Volkes und seine Dankbarkeit Gott gegenüber für den glücklichen Exodus aus Ägypten und den Schirm Gottes auf dem Zug durch die Wüste.

Vers 6:
Sie riefen zu Dir und wurden gerettet,
sie vertrauten auf Dich
und sind nicht zuschanden geworden.

Die Zusammenfassung der ersten Verse in der die Gegenüberstellung zwischen vermeintlicher Gottferne und Erlösung hervorgehoben wird: Wie schon nachzulesen beim Propheten Jesaia:  Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt. Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt.(Jes 53, 4-5)



Vers 7:
Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch,
der Leute Spott und des Volkes Verachtung.

Hier erfolgt nun der Brückenschlag zur Erlösungstat Jesu Christi, beginnend mit der größtmöglichen Schande der antiken römischen Welt: Der Entehrung und Geißelung, Folter und dem Tod am Kreuz.



Vers 8:
Alle, die mich sehen, sie spotten mein;
ihre Lippen höhnen, und sie schütteln das Haupt:

Zu Vers 8 und 9: Vergleiche die Schilderung des Evangelisten mit den Schmähungen auf Golgotha, als jesus schon am Kreuz hing:  "Die Leute, die vorbeikamen, verhöhnten ihn, schüttelten den Kopf und riefen: […] Wenn du Gottes Sohn bist, hilf dir selbst, und steig herab vom Kreuz! […] Er hat auf Gott vertraut: der soll ihn jetzt retten, wenn er an ihm Gefallen hat." (Mt 27, 39-43).

Vers 9:
"Er hoffte auf den Herrn, der mag ihn retten;
Er mag ihm helfen, wenn Er ihn liebt."

Vers 10:
Sie schauen her und betrachten mich,
sie teilen unter sich meine Kleider
und werfen das Los um mein Gewand.

Johannes 19, 24: Da sprachen sie untereinander: Laßt uns den nicht zerteilen, sondern darum losen, wes er sein soll. (Auf daß erfüllet würde die Schrift, die da sagt: "Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über meinen Rock das Los geworfen.")

Vers 11:
Befreie mich aus dem Rachen des Löwen,
vor dem Horne des Einhorns rette mich Armen!

Die Rückbesinnung auf den Text des Introitus, die Einordnung der Befreiung vom Bösen im Kontext zwischen Lesung und Evangelium. Das Verderben und die Finsternis wird hier allegorisch dargestellt mit den Bildern des Löwen und des Einhorns (Allegorie: Bildhafte Darstellung eines abstrakten Begriffs, vgl, die Darstellung der blinden Justitia mit Waage als Allegorie der Gerechtigkeit). Ein schönes Beispiel dafür, wie der Gläubige im überlieferten gregorianischen Ritus durch Wiederholung und damit Vertiefung die Schriftworte geführt wird. Das ist in dieser Form im nachkonziliaren Ritus nicht möglich, da in der Liturgie des Palmsonntags, nach der Prozession direkt mit der Lesung fortgefahren wird. Der Introitus wurde ersatzlos gestrichen. 

Vers 12: Die ihr fürchtet den Herrn, lobet ihn;
ihr Kinder Jakobs, preiset Ihn all!

Vers 13:
Es kündet sich an vor dem Herrn ein neues Geschlecht;
und die Himmel verkünden Gottes Gerechtigkeit:

Die Verse 13 und 14 verweisen auf den Neuen Bundes, die neue Kirche, besiegelt durch das Blut Jesu Christi.

Vers 14:
Dem Volk, das kommen wird,
dem Volk, das der Herr sich geschaffen.



Ich kann nur staunend vor diesem Tractus stehen, dem Gesang der hinführt zum Evangelium und seit frühchristlicher Zeit die Gläubigen führen soll beim Verstehen der heiligen Schrift.
Der Text dieses Gesangs alleine ist eine vollkommene Komposition aus den Versen des Psalms 21. Er greift in wenigen Worten entscheidende Textstellen auf, die auch von den Evangelisten verwendet wurden zur Kreuzigung auf Golgotha. Der Text geht über den Kreuzestod hinaus. Er spannt einen gewaltigen Bogen mit den Stationen:
- tiefster Verzweiflung (Mein Gott warum hast du mich verlassen),
- Hoffnung (Und wohnest doch in Deinem Heiligtum)
- Demütigung in Marter und Kreuz (Ich aber bin ein Wurm...)
- Hoffnung des Beters auf den Erlöser (Befreiung vor Löwe und Einhorn - den Allegorien von Finsternis, Tod und Verderben)
- Lob auf Gott den Herrn, der seinen einzigen Sohn dahin gab um viele zu erlösen.
- Erlösung und Aufbruch des Volkes des neuen Bundes in der Kirche Gottes.

Man kann diesen Text schnell rezitieren oder man kann sich Zeit nehmen - besser die Zeit vergessen - um diesen Tractus zu singen oder zu hören.
Antike Dichter spielten mit der Zeit ihrer Zuhörer. Homer beschrieb seitenlang nur die Rüstung des Achilles in seiner Ilias. Er wollte dass die Zuhörer "lange weilten" bei seinen Versen. Die "Langeweile" hatte noch keinen negativen Beigeschmack.
Auch der TractusHebdomada sancta, die Heilige Woche, ihnen das Geschehen nochmal vor Augen zu führen mit den Worten des Psalmisten.
Ich halte den Tractus heute für eine Provokation gegenüber aller sonstigen Hektik. Der Tractus ist ein Geschenk der frühen Christenheit, das die Zeiten überdauerte und für den, der sich auf diesen liturgischen Gesang einlässt ganz sicher eine neue Erfahrung.
Bei allem Respekt - ein kurzer Kehrvers und Psalmversen dazwischen wie in der neuen Form des römischen Ritus vorgesehen, kann die Kraft und die Ruhe dieses Gesangs nicht mal angedeutet wiedergeben. Sprachverständlichkeit in der neuen Form ist hier oft das Hauptargument aber das lässt sich mit einer Übersetzung und ausgelegten Texten leicht ausgleichen. Es gibt aber auch ein Verstehen, das über die Sprache hinausreicht und das die katholische Kirche und ihre Gläubigen über 2 Jahrtausende verbunden hat. Diese Art des Verstehens ist überliefert in den ruhigen würdevollen melodischen Wellen dieses Chorals. Der Choral will lange und ruhig verweilen, erhaben voranschreiten, nicht hetzen, denn nur dann kann man diesem Gebet wirklich folgen.

Musikalisch ist der Tractus einfach gehalten. Er beschränkt sich auf wenige Melodiebausteine, die mit geringfügigen Variationen in jedem Vers auftauchen. Es gibt sicher viele Gründe, diesen Gesang nicht weiter verstauben zu lassen. Vor allem aber gibt es kein musikalisches Hindernis in der Form, dass dieser Choral zu schwer zu bewältigen wäre von einer Laienschola und einigen Solisten.
Die Praxis sieht vor, dass nach dem ersten Vers solistisch weiter gesungen wird.
Wir haben uns entschieden auch den Kirchenraum klanglich auszunutzen und die folgenden 12 Verse auf 3 Solisten verteilt an drei verschiedenen Stellen zu singen. Links und rechts aussen auf der Empore 2 Sänger der Schola und als dritten Solisten den zum Altarkreuz ad orientem gerichteten Zelebranten.
Beim Vers 14 setzt dann die Schola wieder ein.

Wie werden die Gläubigen in der Messe den Gesang aufnehmen? Ich weiß es nicht, hoffe aber auf das Verstehen, wie oben beschrieben. Eins aber weiß ich sicher: Wenn man es nicht probiert, wird man es nie herausfinden. Daher ist es notwendig den Tractus dahin zu bringen, wo er seit Alters her vorgesehen war - an seinen Platz in der heiligen Messe.

just my 2 cents...

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